Eine interessante Hausgeschichte weist das Haus Diepenbrockstraße 28, in Münster und darüber hinaus als „Kreativ-Haus“ bekannt, auf. Das Gebäude hat eine über hundertjährige Geschichte und wurde als Studentenverbindungshaus Saxonia 1913 durch den Architekten Hilger Hertel dem Jüngeren errichtet. Die Fassade ist geprägt von Neurenaissance- und Jugendstilelementen.
Fasssade des Kreativhauses, Foto: Philip Berstermann
Die V.K.D.St.Saxonia ist eine katholische, farbentragende und nichtschlagende Studentenverbindung. In der NS-Zeit wurde das Haus beschlagnahmt und darin eine NS-Studentenorganisation untergebracht In der Nachkriegszeit erhielt die Verbindung ihr Haus zurück, tauschte es dann gegen ein anderes Haus in Münster ein.
In den 50er Jahren war hier die Kolonialwarengroßhandlung Meyhöfener ansässig, Ende der 50er Jahre mietete die Oberfinanzdirektion Münster das Gebäude. In den 60ern nutzten mehrere Mieter die Immobilie wie z.B. das Billiard Casino Münster oder die Automatengroßhandlung Hill & Probst GmbH&Co.KG.
Mit Kultur kam das Haus durch die FONO-Schallplattengesellschaft mbH ab Mitte der 60er Jahre in Berührung. Diese Schallplattengesellschaft konzentrierte sich auf das Klassik-Genre und brachte hochwertige Produktionen auf den Schallplattenmarkt. Sie wurde 1965 im münsterländischen Laer gegründet, zog Mitte der 70er Jahre aus dem Haus Diepenbrockstraße 28 wieder aus, existierte jedoch noch bis 1999 in Laer.
Ab 1967 zieht die Studentenverbindung Arminia mit in das Haus ein. Außerdem nutzen noch zwei Firmen, die mit Automaten und Quarzlampen handeln, Gebäude und Grundstück. Die privaten Eigentümer wechseln in diesem Zeitraum mehrfach.
Bild Anfang der 80er-Jahre , Foto: Sammlung Rudolf Krause
1977 gründete sich der gemeinnützige Verein Kreativ-Haus e.V. und mietete das leerstehende Gebäude mit der Intention an, eine Kultur-, Bildungs- und Begegnungsstätte aufzubauen. Die Initiatoren stammten aus dem linken studentischen Milieu und waren motiviert, „Bildung und Kultur für alle!“ in die Quartiere zu bringen. Dieser Zeitgeist war weit verbreitet und erklärt, warum sich Ende der 70er- und in den 80er-Jahren weitere Kulturinitiativen wie diese entlang der „Wolbecker“ entwickelten. In einem Gespräch mit Leitungskräften des Kreativhauses am 25. April 2024 werden Akteure der „ersten Stunde“ wie Siggi Neumann, Barbara Seibt, Elin Walter genannt. Nachbarschaft und Bürgertum begegnetem dem Projekt in den Gründungsjahren anfangs mit Skepsis, im Laufe der Zeit ist das Kreativhaus allerdings zu einer Marke mit großem Zuspruch in Münster geworden. Damals gab es Beschwerden aus der Nachbarschaft z.B. wegen Lärmbelästigung. Den ersten Mietvertrag gab es ab dem 1.Januar 1978, vermietet war nur die 1.Etage.
Meilensteine der Entwicklung waren die finanzielle Förderung des Vereins durch die Stadt Münster ab 1984 im Rahmen der Wohnumfeldverbesserung in der Innenstadt. Bereits im Folgejahr wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt. Im selben Jahr erhielt die Stadt Münster 1,7 Millionen DM aus Landesmitteln der Städtebauförderung für den Umbau des Hauses zu einem Stadtteil- und Begegnungszentrum unter ökologischen Gesichtspunkten. Diese Sanierung war zu jener Zeit ein herausstechendes, teures Projekt, da es völlig innovativ war und keine Vorbilder hatte.
Fassade mit Logo des Kreativ Hauses, Foto: Philip Berstermann
Dieser Umbau bedeutete einen „Quantensprung“ für das Kreativhaus, das längst komplett vom Trägerverein Kreativ-Haus e.V. mit einer Nutzfläche von 800 m² genutzt wird. Neben einer Theaterbühne mit vorgelagertem Bistro verfügt es über mehrere Kursräume, Werkstätten, einen Tanzsaal und zwei schallisolierte Musikräume. Bereits 1978 wurde das Kreativ-Haus als Weiterbildungsstätte formell anerkannt, entwickelten sich Kulturangebote und Jugendkunstschule zeitgleich als inhaltliche Säulen des Hauses.
Fotos des Foyers und Cafes (Peters April 2024)
Die Theaterbühne bietet ab Mitte der 90er-Jahre den Schwerpunkt Kabarett und Kleinkunst an. Die erste Liga des deutschsprachigen Kabaretts ist hier im Laufe der Zeit aufgetreten und gastiert weiterhin auf dieser Bühne. Die Leiterin der Theaterbühne, Anna von Papen, kann große Namen wie Marc Uwe Kling, Claus von Wagner, Mathias Tretter, Sarah Bosetti, Anny Hartmann, Christoph Sieber, STORNO und viele mehr benennen.
Das Münsteraner Kabarett-Trio „STORNO“ hat zum Kreativ-Haus eine besondere Beziehung, wie Jochen Rüther, einer der „Stornisten“, erzählte. Schon zu Zeiten der „Kleinen Mäxe“ kamen die Kabarettisten hierher und erkoren es zur Hausbühne, als das „Bennohaus“ am Kanal immer weniger Veranstaltungen anbot. Die Bühne des Kreativhauses ist für die die drei „Stornisten“ seit Jahren beliebte Werkstatt und Probenraum für ihre Programme. Weit über das Wohnviertel und die Stadtgrenzen hinaus ist diese Spielstätte für Kabarettfreunde eine erste Adresse in der Region.
„Standing Ovations“ des Publikums nach einer begeisternden Vorstellung der Veranstaltung „Ein rätselhafter Schimmer“, Foto Anna von Papen, 2023
Die Arbeit als „Weiterbildungsstätte“ orientiert sich am ursprünglichen Ziel des Projektes, in den Bereichen Kunst, Musik, Tanz und Theater „Kultur für alle“ anzubieten.
Über die Entwicklung des Standbeins „Jugendkunstschule“ berichtet ihr Leiter Detlef Heidkamp, dass es von Mitte der 80er-Jahre bis Mitte der 90er-Jahre eine erfolgreiche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen durch Zirkusprojekte gab. Das war damals in Münster noch relativ unbekannt. Die Aufführungen fanden draußen auf dem benachbarten Zumsande-Platz statt. Später ging man mit Zirkusprojekten in Schulen, bis dann „Schulzirkusse“ als Unternehmen diesen Markt erkannten und die Nachfrage bedienten.
In den 90er-Jahren war das Kreativ-Haus mit einem eigenen FORD-Transit außerhalb des Hauses mit mobilen Kulturangeboten unterwegs und im Stadtgebiet präsent.
Wurde das Kreativ-Haus in den ersten Jahrzehnten eher von jüngeren Leuten genutzt, hat es sich in den letzten 15 bis 20 Jahren zu einem von allen Generationen genutzten Angebot entwickelt. Über Kooperationen mit Kitas und Schulen erreichen Programme der Jugendkunstschule viele Nutzer im gesamten Stadtgebiet. Laut Einschätzung des Kreativ-Haus-Teams nutzen aktuell pro Woche ca. 500 Kinder und Jugendliche die Einrichtung vor Ort.
Über die Jahre hat sich eine feste, professionelle Organisationsstruktur für die tragenden Angebotssäulen mit Konstanz und Kontinuität bei den Verantwortlichen etabliert und bewährt.
Es gab auch andere Zeiten, die das Projekt ins Schlingern brachten. So drohte dem Trägerverein 1989 ein Insolvenzverfahren und sogar der Bankrott nach der Abwicklung des gewaltigen Sanierungsvorhabens 1987. Da der Trägerverein die Immobilie nur gemietet hat, brachten Eigentümerwechsel dem Haus immer wieder stets steigende Mieten und neu gestaltete Mietverhältnisse.
Finanziert werden das „Kreativ-Haus“ und die Personalkosten durch Mittel der Kulturförderung der Stadt Münster, des Landes NRW und des Landschaftsverbandes sowie aus diversen Fördertöpfen, den Kursgebühren und Eintrittsgeldern der Nutzer.